Hallo Chris,

Zitat von chris1989 im Beitrag #7

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Eine Frage habe ich noch, warum kann ich wenn ich alleine bin, ganz normal reden. Ich stelle mich immer vor dem Spiegel und lese was vor, manchmal halte ich auch Kurzvorträge. Das ist kein Witz, so übe ich mein Stottern zu verbessern. Und ich spreche mit fester Stimme und ich höre ganz genau was ich sage.

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Auch in diesem Punkt bist du ein ganz normaler Stotterer. Die wenigsten haben Blocks, wenn sie allein mit sich reden, und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass man vor dem Spiegel übt oder Selbstgespräche führt, nur weil man sich einmal stotterfrei reden hören möchte.
Ich glaube, dass dies einem auch sehr gut tun kann.
Die Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe hat sehr schöne Bücher über Stottern und Stotter-Therapien, und eine sehr empfehlenswerte Literatur wäre das Buch "An einen Stotterer" von Stephen B. Hood (Herausgeber), das vielleicht ein bisschen antiquiert ist, aber von seiner Grundidee noch immer Gültigkeit hat. Die aktualisiertere Version findest du auf Englisch, und zwar hier.
Dieses Büchlein wurde geschrieben von 26 (im Englischen 28) Sprachtherapeuten, die alle selber stottern und dir Tipps geben aus ihrem eigenen Leben und aus ihrer therapeutischen Praxis.

Einer der größten Fehler, den wir Stotternde machen, ist der, sich als Normalsprecher präsentieren zu wollen und dann damit zu scheitern.
Wir schämen uns dafür, dass wir stottern, aber diese Scham abzulegen, kann man lernen, indem man sich einem systematischen Angstabbau bzw. einer Desensibilisierung unterzieht.
Wir befinden uns in der glücklichen Situation, dass zumindest gebildete Menschen wie Lehrer und Vorgesetzte Stottern nicht als persönlichen Makel sehen, sondern wissen, dass es eine Störung ist, die weder von den Eltern des Betroffenen "anerzogen" wurde, noch durch irgendwelche Traumata verursacht ist, auch wenn immer noch solche Geschichten herumgeistern.
(In anderen Ländern ist es da sehr viel schlimmer, und bei uns hat die Bundesvereinigung sehr viel Arbeit geleistet).

Aufklärungsarbeit obliegt vor allem den Stotternden selbst, und die einfachste Form ist die, am Beginn eines (wichtigen) Gesprächs oder bei der Vorstellung in der Uni, bei einem Arbeitgeber etc. darauf hinzuweisen, dass man stottert. Man nimmt sich dadurch nicht nur den Druck "perfekt" reden zu müssen, sondern wirft dem Gegenüber den Ball zu, ggf. Fragen dazu zu stellen. Denn "wohlerzogene" Menschen sprechen einen Behinderten in aller Regel nicht auf seine Behinderung an, es kann aber ein sehr ungutes Gefühl sein, wenn man etwas ignoriert, was offensichtlich die Kommunikation erheblich beeinträchtigt.

Selbst wenn viele Stotternde sagen, "das merken die doch von selber", ist es immer noch etwas anderes, wenn man es anspricht.
Viele merken es nämlich eben nicht, im Gegenteil, sie interpretieren in dich alle möglichen Szenarien hinein, die einfach nicht zutreffend sind.
"Mein Gott, ist der nervös" oder "wieso redet der so konfus" oder "kann der sich mal entscheiden, welches Wort er nimmt"...?
Zwei kleine Worte: "Ich stottere" und das ganze mit einem selbstbewussten Auftreten, indem man dem Gegenüber mit einem Lächeln in die Augen sieht.

Wenn man das Stottern allerdings so kommuniziert, als würde man gerade ein Schwerverbrechen gestehen, indem man verschämt auf seine Hände schaut und den Blickkontakt meidet, dann kommt es auch ebenso rüber.

Die meisten Menschen haben Verständnis - sie müssen nur wissen, wofür!
Und die Momente des Gekränktseins, der Scham und der Wut treten wirklich meistens dann auf, wenn der Zuhörer auf den ersten (für ihn unverhofften) Block mit einem Schreck reagieren.

Oder das Typische: "Hast du etwa deinen Namen vergessen?" Nur weil das "CH" von Chris einfach nicht ins R übergehen will.
Dann sagen zu können, "nein, ich bin Stotterer!" versetzt die Person, die dich vorher verhöhnt hat, in solch einen Schock, dass sie vor Scham im Boden versinken möchte. Und dann bist du 1:0 im Vorsprung und die Entschuldigung der Person geht runter wie Öl.

Das ist auch ein schöner Effekt in der Selbsthilfe. Du kannst dich über alle Erlebnisse in der Gruppe auskotzen und bekommst Ratschläge, die vielleicht anfangs schwierig erscheinen, die jedoch, wenn du sie befolgst, dein Leben erheblich leichter machen können.

Zunächst einmal musst du begreifen, dass Stottern dich als Mensch nicht abwertet. Du wirst viele Stärken haben, die du gerne einmal in einer Liste aufschreiben kannst. Und Stottern, ist das eine Schwäche?
Nein, es ist eine anerkannte Behinderung! Auch wenn viele Stotternde dies nicht gerne hören. Aber es ist so! Je nach Schwere der Symptomatik kannst du es auch anerkennen lassen.
Stottern ist nur EIN Teil von dir, neben sehr vielen anderen wirklichen Charaktereigenschaften.
Stottern wird dir auch viele positive Eigenschaften verschafft haben, vielleicht bist du dadurch sehr empathisch, einfühlsam, ein guter Zuhörer... Auch das kannst du für dich einmal aufschreiben.

Die BVSS hat ein Büchlein dazu herausgegeben, wir haben es hier Ihr seid viel stärker, als ihr denkt! vorgestellt.

Wenn du nach Berlin gehst, wirst du diese Bücher vielleicht gezeigt bekommen, oder man kann sie ausleihen. In der Kölner SHG gibt es so eine Leihbücherei, vielleicht kann aber auch @Sprechraum Beratung weiterhelfen.
Ich wünsche dir jedenfalls alles Gute und ein schönes und geruhsames Wochenende.
LG
Petra