Erst neulich hörte ich einen sehr spannenden Beitrag über das Thema "Mental Load".
ich hörte den Begriff zum ersten Mal, er erschien mir jedoch bereits nach der ersten Erklärung sehr plausibel.

Mental Load, so hieß es, seien die mentalen Lasten, die insbesondere Frauen mit sich herumschleppen, wenn sie vielleicht halbtags arbeiten gehen (also viel weniger als ihr gut verdienender Ehemann, der 8-10 Stunden schuftet), die aber nebenher noch die Kinder in die Kita / Schule bringen und abholen, den Zahnarzttermin auch des Ehemannes auf dem Schirm haben, wissen, dass Sohnemann bis morgen die Datenschutzerklärung für den Fußballverein abgeben muss, die putzen, waschen, bügeln, kochen, einkaufen, die auf dem Schirm haben, dass Tante Irma am Wochenende ihren 60. feiert und sie daher noch eine Torte backen müssen etc. pp.

Und weil Frau damit den Arbeitsspeicher in ihrem Gehirn völlig auslastet, ist sie auch am Abend fix und alle, auch wenn ihr Mann beim Nachhausekommen zu ihr sagt: "Wieso machst du einen auf erschöpft, wo du doch nur 4 Stunden arbeiten warst und anschließend den ganzen Tag Kaffee getrunken hast?"

Mental Load - das fiel mir wieder ein, als ich den Beitrag Ich stelle mich vor: Tim
gelesen habe.

Zitat

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Im Berufsleben habe ich es noch nie angesprochen. Die Leute mit denen ich arbeite bekommen es irgendwann von selbst mit. Zumal mein stottern, abhängig vom Tag natürlich, auch nicht so schlimm ist das ich gar nicht kommunizieren kann. Irgendwie komme ich immer weiter. Zum Beispiel indem ich Worte ersetze. Mir geht es auch so, dass wenn ich sehr aufgeregt und konzentriert bin, nicht stottere, dafür danach total platt bin.

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Es mag eine andere Art von Mental Load sein, aber ich glaube schon, dass der Begriff genau das beschreibt, was ein Stotterer während des Versuches, möglichst unauffällig zu sprechen, macht. Und genau deshalb ist er danach auch so platt.

Ich habe es mal wie einen Gang durch ein Labyrinth beschrieben. Du hast ein Ziel vor Augen (der Inhalt, den ich sagen will), aber du siehst, dass es geradeaus nicht weitergeht, also abbiegen, ein anderes Wort benutzen, und - schwupp - schon ist der nächste Gang auch versperrt, du fühlst aber, dass er sich gleich öffnen könnte, wenn du ein wenig mehr Zeit brauchst, indem du - äh äh - machst, und dann geht es schon wieder weiter, du hast die Formulierung im Kopf, passt sie gegebenenfalls schnell an, wenn das Ersatzwort, das du statt dem eigentlichen Begriff benutzt hast, es erfordert...

Wenn du in einen Block rennst, dem du nicht rechtzeitig ausweichen konntest, fordert es deine komplette Konzentration so sehr, dass du hinterher den von @Chiara beschriebenen Blackout hast... Was wollte ich nochmal sagen?

Und somit ist das gesamte Stottern eine mentale Last.
Und daher ist es auch wichtig, bei der Definition der Ziele für eine mögliche Therapie eine Minderung der mentalen Last des Stotterns anzustreben.
Mentale Lasten sind hier konkret:

* hohe Konzentration beim Sprechen, immer weit vorausschauend formulieren, Wörter auf Stotteranfälligkeit abscannen
* ständige Entwicklung von einem Plan B, wenn Plan A nicht funktioniert, noch während des Sprechens
* blitzschnelles Austauschen von Wörtern im Falle eines Blocks bzw. noch davor
verbunden mit:
* Angst, als Stotterer aufzufliegen
* Angst, dass der Andere einem das Wort nimmt, wenn es nicht gleich herauskommt
* Angst, dass der Gesprächspartner einen als schlecht oder falsch beurteilt

Wir wissen aus jahrelanger Therapieerfahrung, dass VERMEIDEN nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist.

Eine Therapie, die nur darauf abzielt, hörbares Stottern zu vermeiden, ändert nichts an den mentalen Lasten, die ein Stotterer mit sich herumträgt.
Dazu kommt, dass ein Therapiekonzept, das den Patienten in dem Glauben lässt, Stottern sei etwas Schlimmes, das man möglichst wegmachen muss, die mentale Last "ich darf nicht stottern!" in keinster Weise mindert.

Im Gegenteil, das Setzen auf diese EINE Karte: Sprechtechnik A oder Sprechtechnik B (z.B. Atmung, weicher Stimmeinsatz) etc., erhöht die mentale Last um den Faktor, "ich weiß jetzt, wie es geht, also MUSS es auch funktionieren."

Darum, und genau darum halte ich - und das ist meine persönliche Meinung und Erfahrung - es für so wichtig, dass man zunächst die mentalen Lasten mindert. Und zwar schon mal um den Punkt: keine Angst zu haben, als Stotterer aufzufliegen.
Das kann ich, wenn ich bereit bin, bei Bedarf mein Stottern zu thematisieren. Damit ist mir eine erhebliche Last genommen.

Viele haben die Erfahrung gemacht, dass nach Wegfall dieser Last eine gewisse Grundgelassenheit eintritt. Und diese Gelassenheit wirkt sich positiv auf die Schwere des Stotterns aus.

Wenn man sich nun vornimmt: "komme, was wolle, ich werde keine Wörter austauschen, ich schaue einfach mal, was passiert, ggf. stottere ich mich durch den Block durch!" Nimmt man sich eine weitere Last, nämlich die, ständig nach einem Plan B oder Ersatzwörtern Ausschau zu halten.

Vorsicht aber, denn hierin liegt eine tückische Falle: Wenn ich nämlich beginne, nicht mehr zu vermeiden, sondern das Stottern einfach zuzulassen und zwar so, wie es sich von selbst entwickelt, dann stottere ich zunächst mehr und nicht weniger.
Eigentlich logisch, denn das Vermeiden ist weg und das Stottern zeigt sich in seiner Kernsymptomatik.
Ich brauche dafür aber die Bereitschaft, dies hinzunehmen. Und diese Bereitschaft muss - so denke ich - von innen kommen.
Schön, wenn der Therapeut es mir sagt, aber es nützt nichts, wenn ich nicht dazu bereit bin, sondern nur das Endziel vor Augen habe, bloß schnell weniger zu stottern.

Jede Art von Veränderung ist ein Prozess. Und Stottern ist so komplex, dass man nicht einfach sagen kann: wenn du dies machst, passiert zwangsläufig das, und wenn du das machst, passiert zwangsläufig danach das... Und das auch wenn manche Therapeuten bzw. Möchtegern-Therapeuten einem das so weiszumachen versuchen. Der Mensch ist keine Maschine, als dass man sagen könnte: "Aha, das Zahnrad ist ja auch viel zu groß für diesen Mechanismus, wir müssen es durch ein Kleineres ersetzen und schon fluppt es."

Aber es gibt halt Dinge, die sich im Laufe der Jahre bewährt haben. Und dazu gehört: mindere ich all die mentalen Lasten, die mein Stottern begleiten, so viel wie möglich, so bleibt mir nur noch das Problem, dass ich trotz des festen Entschlusses zu sprechen, manchmal ein Wort nicht herausbekommen kann.
Mich würde echt interessieren, wie @Roland Pauli als Experte fürs Mentale Training dazu steht?
LG
Petra

Schade, @Eberhard , ich hatte mich schon auf einen intensiven Diskurs gefreut.

Lieber @Roland Pauli ,

bei unserem letzten online-SHG-Abend hat einer unserer langjährigen Mitstreiter ein sehr interessantes Modell vorgestellt, das ich gerne auch unter diesem Titel "mental load" erklären möchte.
Leider weiß ich nicht, ob ich es zu 100% richtig verstanden habe, aber soweit ich verstanden habe, passt es hier ganz gut rein.

Es handelt sich um das grüne bzw. rote Spielfeld.
Da dieses SHG-Mitglied, ich nenne ihn mal Peter, gerne Fußball spielt, war ihm dieses Modell mit dem Spielfeld sehr verständlich, weshalb er es so gewählt hatte.
Es geht um die Bewältigung des Stotterns, das Üben von Techniken und die Rahmenbedingungen dafür.
Seine These: solange das Spielfeld rot ist, sind keine Fortschritte möglich. Bewege ich mich also auf einem roten Feld, einem Feld, in dem ich mich unwohl fühle, brauche ich im Grunde gar nicht erst anzufangen, meine Sprechübungen zu machen, denn ich werde eh scheitern.

Er sagt: für mich war das Feld früher komplett rot, vielleicht bis auf den Elfmeterpunkt. Ziel ist es, die persönlichen Rahmenbedingungen so zu verbessern (Einstellung zum Stottern, mentale Lasten!), dass das Feld zunehmend grün wird, und wenn es soweit ist, dann kann ich auch üben und meine Sprechtechniken anwenden.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Debatte im alten Forum, wo eine Mutter schrieb, der Therapeut des Kindes wolle nun mit dem Kind auf die Straße gehen, um mit ihm draußen pseudostottern zu üben. Das Kind hingegen habe furchtbare Angst davor und wolle gar nicht mehr zur Therapie gehen.

Auf diesen Hilferuf der Mutter antwortete ein bekannter Stottertherapeut, dass hier etwas furchtbar schief gelaufen sein müsse. Pseudostottern auf der Straße müsse für alle Beteiligten SPASS machen. Man müsse Spaß dabei empfinden, auf Leute zuzugehen und sie stotternd anzusprechen. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, so wird auch die Übung womöglich nach hinten losgehen.

Um dabei die oben genannten Bilder beizubehalten: Wenn ich den Patienten nicht von seinen mentalen Lasten (und dazu gehören neben den Befürchtungen, in Zukunft stottern zu müssen, auch die Altlasten aus vorherigen negativen Erfahrungen) soweit befreit habe, dass er experimentierfreudig ist, wenn es mir also nicht gelungen ist, aus dem roten Spielfeld ein grünes zu machen, dann hat das Pseudostottern auch keinen Sinn.

Womit wir eigentlich wieder bei diesem Beitrag Pseudostottern - eure Erfahrungen wären.
So, und nun hoffe ich, wieder genügend Input gegeben zu haben, dass wir an dieser Stelle auch noch mehr Überlegungen und Meinungen hören können.

Schönen 3. Advent
Petra