Zunächst möchte ich erwähnen das ich bis Ende 27 noch einen anderen Sprachfehler hatte, nämlich Schetismus ähnlich wie Lispeln. Bei Schetismus ist es aber so das ich bei den SCH-Lauten immer die Zunge mit raus nahm. Als Kind dachte ich immer das wäre normal so zu reden. Als ich dann allerdings mit meinen Eltern auf's Dorf zog fingen die Probleme erst richtig an. Viele meiner Schüler machten sich lustig über meine Sprechweise. Ich wusste aber nicht warum und was das sollte, warum sie jedes mal lachten wenn ich Chips oder Schule sagen musste. Diese Momente waren in den ersten Jahren besonders schlimm, habe mich später aber damit abgefunden. Doch irgendwann in meiner 2ten Ausbildung wollte ich nicht so weitermachen wie bisher. Ich hab mich jedesmal geschämt wenn ich SCH-Laute von mir gab, und natürlich auch weg geschaut, weil es mir so peinlich gewesen war.

Also suchte ich nach einer Logopädin in der näherin Umgebung. Ich rufte sie zwar nicht an, sondern schrieb direkt mein Anliegen auf der Homepage, aber schon das bereitete mir große Mühe. Bevor ich allerdings dort anfangen konnte musste ich erstmal zur HNO. Eine wirklich sehr schreckliche Erfahrung weil die Ärztin zu mir sagte: Sie reden doch ganz normal, sie brauchen keine Behandlung. So leicht ließ ich mich aber nicht unterkriegen, ich wollte diese Behandlung unbedingt. Ich laberte sie so zu als ob es um mein Leben ginge und schließlich willigte sie ein.
Die Woche darauf hatte ich schon meine erste Behandlung, zum Glück war es ambulant und ich durfte hinterher wieder nach Hause gehen. Meine Logopädin sagte mir Wörter mit "sch" vor und ich sollte sie nachsprechen aber diesmal mit Zunge drinne lassen. Es gibt einen Trick wie es am Anfang leichter geht, man muss den Zeigefinger und Daumen zu einem Ring formen, und dann die beiden Finger an den Mund halten und das SCH bilden. Zur meiner Erstauhnung muss ich dazu sagen. Als hätte ich nie so einen Sprachfehler gehabt. Ich hatte noch weitere 6 Behandlungsstunden bei ihr und genoss es regelrecht. Ich fragte sie ob man gegen mein Stottern was tun könne. Sie sagte ja: Da gibt es was. Zum einen die Bonner Stottertherapie und die Kassler Stottertherapie. In dieser Zeit informierte ich mich sehr umfangreich über das Thema Stottern. Ich entschied mich für die Bonner Stottertherapie, mir sagte es einfach mehr zu, schon alleine wegen dem Angstabbau, da wusste ich es ging bergauf.

Nach meiner Schetismus-Therapie konnte ich zwar flüssiger reden und deulicher als zuvor aber das änderte nichts an meinem Stottern, ich vermied immer noch wo ich konnte. Aber es gab immer wieder Momente wo nicht vermeiden konnte, in diesen Momenten war ich nicht Herr meiner Lage gewesen. Es kam manchmal urplötzlich über mich und ich merkte wie mein Selbstbewusstsein sank. Also setzte ich alle Hebel in Bewegung und meldete mich bei der Bonner Stottertherpie an. Das war vor ungefähr 2 Jahren. Mir war schlecht an dem Tag als ich von Sachsen nach Nordrhein-Westfalen fuhr, nur für einen Infotag und dann wieder zurück, aber ich wollte es so. Ich konnte sehr schlecht einschlafen an dem Abend wo ich in Bonn war. Aber nächsten Tag ging es mir schon besser.

Gut ich denke ich werd jetzt mal nicht ganz so weeeit ausholen ansonsten wird das hier ein 20 Seiten Roman!

Nachdem ich meine 40 Stunden ambulant geleistet habe, habe ich von Bonn eine Bestätigung bekommen das es Anfang Juli 2019 los geht. Ich war nervös bei dem Gedanken, jetzt wird's langsam ernst für dich, du musst noch dringend deine Angehörigen, Freunde und Vorgesetze informieren. Oje dachte ich nur, über Probleme reden, kann ich das überhaupt vor allem wenn's um's Stottern ging? Aber wenn's besser werden soll muss ich was verändern. Im Vorfeld hatte ich es schon mal angesprochen also machte ich da weiter wo ich aufgehört hatte, mit noch mehr Offenheit. Und siehe da, niemand hatte irgendwie blöde getan, im Gegenteil.

So jetzt aber endlich zu meiner Therapie...
Nach einer kurzen Aufnahme in der Klinik saßen wir alle im Therapieraum und waren alle gespannt was uns jetzt erwarten würde. Bevor es richtig los ging mussten wir erstmal alle vor die Kamera treten, und uns ein weing von uns erzählen. Selbstverständlich so wie's im Augenblick grad sprachlich so geht. Ich glaube ich bin ziemlich zeitig vor zum Stuhl gegangen. Ich wollte es unbedingt hinter mir bringen, so nervös war ich wieder gewesen. Ich erzählte kurz aus meinem Leben, das ganze in einem Affenzahn ohne Punkt und ohne Komma. Die Therapeutin meinte darauf hin: "Sie tun ja alles um nicht in diesen Block zu geraten". Ja das stimmt, sagte ich darauf. Dann sollte ich Stottern ohne zu vermeiden, Brettspiele war das Zauberwort. Also stotterte ich bei diesem Wort. Wenn mich heute noch einer fragt, sag mal Brettspiele dann so Bre-Bre-Brettspiele oder in Technik. Als ich die Therapeutin noch was fragte vermied ich wieder, und sie so: Keine äh's oder halt sondern primäres Stottern ist jetzt gefragt und das jedesmal bei einem Stottergefühl. Ok was soll's probierst es mal, kann ja vielleicht ne schaden. Und tatsächlich merke ich schon das da etwas in mir passierte. Der Druck baute sich so langsam ab und wurde von Tag zu Tag besser.

Am dritten Tag machten wir nun Telefontraining, d.h. wir rufen in Geschäften an z.b. Apotheken oder Hotel's, Friseure, Fahradgeschäfte oder auch Klamottenläden je nach dem womit er am besten zurecht kommt. Wichtig ist das man sein Stottern zeigt und das deutlich, auch wenn der Angerufene unruhig oder einem in's Wort fällt. Man stellt sich so seiner Angst vor dem Telefonieren. Ich kann mich noch gut dran erinnern, das ich mal ein wirklich hartes und schweres Stottern bei einem Telefontraining gemacht hab. Das war gar nicht schlimm sondern hat mich echt stark gemacht zu dieser Zeit. Wenn man wirklich mal einen harten Block hat, dann kann man damit besser umgehen. In meiner ambulanten Therapiezeit musste ich auch ein zweimal Telefontraining machen und fandte das richtig schlimm. Aber ich denke mal das wird bei vielen so der Fall sein. In einer stationären Stotter-Therapie hatt man viel mehr Rückhalt und man ist nicht allein. Man untertstützt sich gegenseitig und man kann jederzeit zu den Therapeuten gehen und fragen, wenn man ein Problem hat.

Die Tage darauf haben wir Umwelttraining gemacht. Wir wurden in Gruppen eingeteilt je nach Angstwert der einzelnen Personen. Wir mussten hintereinander Leute auf der Straße ansprechen, natürlich wieder stotternd. Wir fragten nach der Uhrzeit, oder wo der Hauptbahnhof ist oder auch wo die nächste Sparkasse sei. Nach anfänglicher Angst und Unsichterheit machte es mir richtig Spaß. Und als wir dann später in Geschäfte gehen sollten wurden die Fragen anspruchsvoller und ausführlicher. Am Anfang dachte ich noch, ich werde belächelt wenn ich die Leute stotternd frage aber diese negativen Gedanken wurden nun zunehmend weniger.

Das Ganze bringt natürlich nur was, wenn man das erlernte auch mit nach Hause nehmen kann. Ganz genau--DIE THERAPIE ENTSCHEIDET SICH AM WOCHENENDE
Jeder hat dazu eine DVD mit nach Hause genommen wo das Thema Stottern erklärt wird: Was Ist Stottern?, Was sind die Ursachen? Wie funktionieren die Sprechtechniken? Wir haben in der ersten Woche unsere wichtigsten Personen dazu eingeladen, um sich gemeinsam diese DVD anzuschauen, zur Entlastung der betroffenen Person, und der Angehörigen. Zu Hause das erste mal richtig zu stottern war schon etwas ganz anderes als in Bonn. Es war auf jeden Fall ungewohnt. Viele wunderten sich doch erst einmal über diese neue Sprechweise. Aber das gehört zum Konzept einfach dazu, man muss sich erstmal densibilisieren bevor man in die Sprechtechniken hineingeht. Der Angstabbau ging zwei Wochen bevor wir die erste Sprechtechnik erlernten. Das war mit die wichtigste Zeit während meiner ersten Therapie-Phase.

Nachdem ich meinen wichtigsten Leuten diese DVD gezeigt hatte ging es nun an die Sprechtechniken. Ein weiterer wichtiger Schritt, denn nur so konnte man kontrolliert flüssiger im Sprechen werden. Stotterkontrolle heißt die Technik. Man beginnt mit einem weichen Einsatz und einer deutlichen Dehnung des ersten Wortes. Am ersten Tag dieser neuen Sprechtechnik mussten wir jedes Wort einzeln aussprechen und das jedes mal mit weichem Einsatz und langer Dehnung. Ich weiß noch wie ich Abend's tot in mein Bett fiel, so anstrengend war diese Sprechtechnik zu Anfang's gewesen. Aber wie sagt man so schön, ohne Fleiß kein Preis, Stottern ist nun mal hochgradig automatisiert. Was heißt das jetzt? Jeder Stotterer stottert nach seinem geregeltem Muster, und das schon viele Jahre oder gar Jahrzehnte. Spricht man jetzt anders als vorher dann ist man erstmal sehr flüssig. Vernachlässigt man aber das gelernte wieder zu früh dann stellen sich aber mehr oder weinger wieder alte Verhaltensmuster wieder ein. Deswegen ist es wichtig das man sein eigener Therapeut wird und immer wieder Zeit investiert um auch langfristig Erfolg zu haben.

Mir fällt es auch manchmal schwer jeden Tag ins Therapiebuch zu schauen und starr da zu sitzen und Wortreihen zu üben. Deswegen kann man ruhig etwas flexibler beim Regelmäßigen üben sein. Man kann das Üben ganz leicht mit in den Alltag integrieren. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, wenn ich zur Arbeit fahre, immer im Auto zu üben, da ich einige Texte auswendig kann muss ich nicht zwangsläufig ins Buch schauen. Auch verschicke ich regelmäßig Sprachnarichten per Whats-App und das oft mit einer genauen Technik, ist wie ich finde ein simpler Trick aber mit großer Wirkung da man ungestört seine Techniken überprüfen kann.

In der zweiten Phase der Bonner Stottertherapie kann man entscheiden ob man weiter an der Stotterkontrolle arbeiten möchte oder eine zweite Sprechtechnik erlernen möchte. Ich persönlich habe mich für diese 2te Technik entschieden. Die Fluency Shaping Technik (Stufensprechweise). D.h. man verändert sein komplettes Sprechen. Allerdings ist diese Sprechweise nicht für jeden geeignet und deswegen muss das jeder für sich entscheiden ob er das will oder nicht. Ich hab mich doch dafür entschieden so zu reden. Man muss jedoch am Anfang sehr konsequent diese Technik einüben sonst funktioniert sie im Alltag nicht. Sie ist ähnlich wie die Stotterkontrolle aber mit weniger Anfangsdehnung aber dafür mehr Stimmfluss. Die Technik klingt am Anfang sehr verlangsamt und unnatürlich, aber mit der Zeit wurde es mehr und mehr natürlicher und angenehmer. Auch hier mussten wir am ersten Tag jedes Wort einzeln sprechen. In der Stufe 2 konnten wir bis zu 4 Wörter sprechen bis wir wieder eine Dehnung machen sollten. Ich hatte in dieser Stufe am Anfang meine Probleme, weil es immer etwas französisch geklungen hatte. In dieser Phase mussten wir auch wieder am Wochende nach Hause fahren, und unsere Techniken in den Alltag übertragen. Während dieser Zeit ging ich auf keine Party und auch nicht in laute Gesellschaften, dafür war mir mein Sprechen zu wichtig. Ich überlegte mir deshalb schon in Bonn mit wem ich am Wochenende über die Therapie reden könnte, um meine Techniken genau anzuwenden. Es ging richtig gut, war zwar anstrengend aber hat sich definitiv gelohnt!

Um auch weiterhin am Ball zu bleiben, bin ich bei der Flow-Sprechgruppe aktiv und tausch mich gern mit anderen Menschen aus die ähnliche Probleme haben aus. Das gibt mir die nötige Kraft und Motivation weiter im Leben voran zu kommen. Bei den ganzen positiven Sachen die mir während der Therapie-Phase passiert sind, gibt es auch immer wieder mal Phasen oder schlechte Tage wo's nicht gut klappt. Wenn die Technik nicht so gut greift oder auch mal vermehrt Stottergefühle auftreten, ist das zwar ärgerlich aber für mich kein Grund mehr Trübsaal zu blasen.

Nach zwei Nachbehandlungswochen in Bonn bin ich nochmal richtig gestärkt nach Hause gekommen und konnte nochmal richtig Vollgas geben. Vor allem die 2te Nachbehandlungsphase war nochmal richtig motivierend. Ich habe nochmal aktives Umwelttraining gemacht sowie der Austausch mit anderen Selbstbetroffenen.

Zum Abschluss dieses etwas längeren Beitrages kann ich sagen, das ich die Bonner Stottertherapie jederzeit machen würde, sowie jedem empfehlen kann der sich und seinem Sprechen etwas gutes tun möchte.

Hallo @Chiara, Danke für deine Antwort!

Zu deiner Frage: Ja am Anfang ist das sicherlich ziemlich schwierig von jedem unterstützt zu werden, wie man sich's eigentlich erhofft. Dachte ich doch zuerst mich würde jeder auslachen, weil ich doch jetzt mehr stottere als zuvor. Als ich meinen Leuten den Aufklärungsfilm gezeigt habe wurde auch vielen klar was Stottern wirklich ist.

Ein paar Leute meinten auch zu mir das mein Sprechen jetzt schlechter sei wie vorher, das mag ja für sie so sein, aber dann erkläre ich ihnen dass das nicht so sei. Ich sage dann das ich mich so gut fühle, und das ich keine Angst mehr vorm Sprechen habe.

Man muss sich auch im klaren darüber sein, das nicht jeder gleich reagiert über die neuen Sprechtechniken, einige finden sie komisch und andere richtig gut und sagen dass das richtig schön klingt.

Vor den Wochenendheimfahrten haben wir immer ausführlich über die Ziele jedes einzelnen Therapieteilnehmers gesprochen. Was wirst du am Wochenende machen?, Wo liegen deine Schwerpunkte?, Wen wirst du noch die DVD zeigen?, Mit wem wirst du dich unterhalten?, und, und, und.

Ich habe mir immer Leute gesucht zu denen ich ein gutes Verhältnis habe. Mit denen ich über alles reden kann, und die mich auch ausreden lassen und genau zuhören. Bei denjenigen konnte ich auch immer sehr gut meine Techniken festigen, was ja das ah und oh ist.

Meine Angehörigen haben auch immer wieder mal gefragt, wie's zur Zeit sprachlich so läuft. Ab und zu fragen sie heute noch, und das zeigt mir das sie noch interessiert an dem Thema sind.