Ach, und noch eine kleine Ergänzung zu Beitrag 12 und dem was passiert zwischen den Gesprächspartnern und der weiteren Ebene, die eingezogen wird: der Stotternde merkt doch auch, dass der andere es merkt und der rosarote Elefant nun im Raum steht - warum spricht er es nicht an, wenn er darüber sprechen möchte, bzw signalisiert, dass es ok für ihn ist?

… Weil Stottern kein peripher körperliches Problem ist wie eine Lähmung oder ein hinkendes Bein, sondern ein Problem neurologischer Fehlhaltungen, die nur schwer gedanklich zu fassen sind und gegen die nur schwer anzukommen ist.

Weil Stottern kein grundsätzliches Problem ist, sondern auch immer wieder stotterfreies Sprechen möglich ist.

Weil ich weiß, dass ich stotterfrei sprechen kann und es dann trotzdem immer wieder nicht kann.

Weil ich das, was ich eigentlich kann, nicht in jeder Situation aufrechterhalten kann.

Weil ich von äußeren Eindrücken immer wieder heruntergezogen werde und dann stottern muss, heruntergezogen wird von früheren Erlebnissen, über deren vermeintliche Ähnlichkeit mit heute auf unerklärliche Weise das Unterbewusstsein und nicht das Bewusstsein entscheidet.

„Auch Eberhard schreibt, dass seine Mitmenschen überwiegend positiv auf das Stottern reagiert haben. Woher kommt dann die negative Konnotation?“

Weil meine eigene erweiterte Familie negativ reagiert hat, in Form von Mitleid, Abwertung, Distanzierung, vorgeschobener und hilfloser Freundlichkeit, mit Verlegenheit und Scham, ohne wirkliche Hilfe und Unterstützung, mit Nichterkennen der wirklichen Ursachen. Ich muss ihnen zugutehalten, dass sie es nicht besser wissen konnten.

Tut mir gut, das mal schreiben zu können.

Ich muss da was richtig stellen: Meine Mutter gehörte nicht zu dem, was ich Familie nannte, sie starb, als ich 4 Jahre alt war.

Hallo,
Ich beantworte die einzelnen Aspekte mal weiter. Die Sache mit den Spiegelneuronen ist wirklich interessant und ich kann es nur bestätigen: wenn sich jemand Zeit nimmt fürs Sprechen (und auch fürs Stottern) entspannt mich das viel mehr als wenn ich verbal überfahren werde - ob mit oder ohne Stottern. Die Frage ist nur, ob denn auch jeder Stotternde theoretisch "entspannt/ruhig/locker" stottern könnte, oder ob bei manchem die Schwere der Symptomatik das hat nicht zulassen würde. Keine Ahnung...! Sei's drum, ich habe jedenfalls gemerkt, dass es mir Respekt abnötigt und ich mich wohlfühle, wenn jemand sich und mich als Zuhörerin so gelassen durch den Sprechhindernisparcours hindurch führt.

"Ist Stottern-Vermeiden wirklich der Versuch, nicht zu sprechen, um Stottern zu vermeiden? Ist es nicht eigentlich der Wunsch, Sprechen zu vermeiden und wenn wir es dann doch tun, geht es dann halt nur mit Stottern? Sprechen vermeiden, weil wir das Gefühl haben, dabei nicht authentisch zu sein, weil wir uns zu viel mit dem Stottern und zu wenig mit unseren davon unabhängigen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzen?"

Das hatte Eberhard geschrieben. Ich finde den Gedanken sehr interessant, und greife ihn mal auf. Ich fand meinen neuen Bekannten ja mit und nicht trotz Stottern total authentisch und sympathisch. Der Gedanke von Eberhard erinnert mich an etwas, was mein damaliger Hauptgesprächspartner mal geschrieben hatte, sinngemäß, dass er aufgrund des Stotterns nicht so schlagfertig und witzig sein konnte wie er gewesen wäre, wenn er einfach so drauflos hätte reden können. Das konnte ich damals gut nachvollziehen, wenngleich ich mich Frage, ob das nicht lediglich ein "ästhetisches Problem" ist, das nicht vorhanden wäre, wenn viel mehr "drauflos gestottert" würde und diese Art zu sprechen für kein Ohr mehr fremd wäre. Auch gestotterte Witze sind witzig, das kann ich mittlerweile aus eigener Anschauung sagen. Man darf es mir dann nur nicht übel nehmen, wenn ich schon lache, bevor der Witz zu Ende erzählt ist, weil ich mir den Rest denken kann ;-)

"Weil meine eigene erweiterte Familie negativ reagiert hat, in Form von Mitleid, Abwertung, Distanzierung, vorgeschobener und hilfloser Freundlichkeit, mit Verlegenheit und Scham, ohne wirkliche Hilfe und Unterstützung, mit Nichterkennen der wirklichen Ursachen. Ich muss ihnen zugutehalten, dass sie es nicht besser wissen konnten.

Tut mir gut, das mal schreiben zu können."

Es freut mich, dass es Dir gut tut, das mal zu formulieren. So etwas kenne ich auch.
Du schreibst, dass sie es nicht besser wissen konnten. Wie ist das gemeint? Vielleicht - kein Vorwurf, nur ein Gedanke - hättest Du ihnen helfen können, es besser zu wissen. Etwas sagen können wie "hey, da hast Du gerade gehört, dass ich manchmal stottere. Das ist nichts Schlimmes, du musst nicht irritiert sein, ich brauche manchmal einfach ein bisschen mehr Zeit."

"Sie konnten es nicht besser wissen" - das erinnert mich auch daran, dass sich zum Glück in ganz vielen Bereichen einiges geändert hat und Toleranz eingezogen ist, dass aber gleichzeitig noch viel getan werden muss. Ich habe nach wie vor zwei Freunde, die partiell ihre Homosexualität verbergen und dafür ihre subjektiven Gründe haben. Ich kenne eine Frau, für die es mitunter schwierig ist, dazu zu stehen, dass sie ein behindertes Kind hat. Und man könnte die Liste sicher weiter führen - warum sind viele Dinge, die eigentlich normal sind und für die man sich nicht schämen muss, es dann doch nicht?

Außerdem fällt mir an Deinem Statement auf, dass ich nicht alle stichwortartig genannten Reaktionen eindeutig negativ finde. Mitleid ist so ein Mittelding, es heißt ja, dass jemand "mitleidet", also Mitgefühl hat. Distanzierung passiert im Alltag ja oft, auch aus anderen Gründen, dem versuche ich meist auf den Grund zu gehen, und meist lässt sich die Sache klären, manchmal aber auch nicht. Freundlichkeit ist ja erst mal gut. Bist du sicher, dass sie "vorgeschoben" war? Und was, wenn sie "hilflos" war? Wie ist das gemeint und wäre das per se schlecht? Hätte man da nicht helfen können oder die Freundlichkeit einfach annehmen? Verlegenheit und Scham finde ich schwierig. Kann man das dem Gesprächspartner das wirklich vorwerfen oder offenbart das nicht vielmehr seine eigene Schwäche, mit der Situation umzugehen? Letztlich wollen wir doch alle einfach nur eine gute Zeit zusammen haben.

Und eine Frage noch: welche wirkliche Hilfe und Unterstützung hättest Du Dir denn gewünscht oder würdest Dir vielleicht heute noch wünschen?

Herzliche Grüße!

Was ich geschrieben habe, ist natürlich nur mein subjektives Empfinden im Rückblick auf jene Zeit, das ich aber damals auch noch nicht so hätte beschreiben können. Meine Familie konnte mir nie die Orientierung geben, die ich gebraucht hätte. Zum Glück habe ich davon einiges durch meine Lehrer und Mitschüler erfahren. Mangelnde Orientierung in Zeiten von Gefühlschaos war wohl auch die Ursache für den zweimaligen Beginn des Stotterns bei mir. Es gibt viele Möglichkeiten, im Leben von der Spur abzukommen, Stottern ist eine davon.

Ich bin zur Zeit auf einer guten Spur, herauszufinden, was ich bei mir ändern muss, damit das Stottern aufhören kann. Ich schreibe darüber aber erst, wenn es sich als richtig herausgestellt hat.

Der erste Post von grow_slowly weckte gleich mein Interesse, es ist schön dass wir mal direkt die Reflexion über nicht-stotternde Menschen mitkriegen. Schön dass du hier im Forum bist. Nun ist hier schon soviel geschrieben worden, ich steige mal wieder ganz vorne zu dem Gedanken des ersten posts ein. Authenzität, ja das mag ein Modewort sein, aber ich treffe im Berufsleben so viele Leute die nicht "echt" sind. Auch wenn alle als "Profis" die berühmte Maske aufhaben und eine "Rolle" spielen, bekommen Leute doch mit, in Art und Weise der Kommunikation und O-ton-Gespräche wie der die jeweile Partner so ticken. Manchmal bilde ich mir ein, das unterschiedlichste Leute gerne mit mir reden, vielleicht weil sie merken dass ich stottere (auch bei flacher Symptomatik bekommt mein Stotteren jeder mal mit), dann aber dadurch was ich sage merken, dass es "echt" ist. Gelegentlich schieße ich etwas über das Ziel hinaus und mache gerne (zuviel) Witze oder baue Ironie ein, die vielleicht falsch oder gar nicht verstanden wird.
Andere Stotterer treffe ich auch, wobei ich das Gefühl habe, dass es von Ihnen aus nicht zum Thema gemacht werden soll und probieren es zu verbergen.
Für nicht-stotternde Menschen ist es glaub`ich schon leichter, mit einem "offenen" Stotterer umzugehen.
Was bei uns in der SHG und in sonstigen Themen immer zu kurz kommt: Kommunikation ! Wir Stotterer sind so mit unserem Kram beschäftigt und vergessen unser Gegenüber. Bekommen gar nicht mit dass auch unser Gegenüber gefordert ist.
Drei Beispiele: 1. Die Frau an der Käsetheke hat 10 andere Kunden und möchte fertig werden, ja shice, ich weis.
2. eine gute Freundin aus den 20-ern sagte mir mal, nachdem es mit dem Sprechen flüssiger lief, es sei nicht mehr so anstrengend mir zuzuhören. 3. Ein Sportskumpel fragt mich, "sag mal J., manchmal bist du so aufgeregt oder nervös, sag mal hast du vor mir Angst?"
Die drei Beispiel zeigen wie wichtig "das outing" oder die Abmachung ist: "hey, ich stottere, aber das hat nichts mit dir zu tun !"
Zumal, wenn wir auf unseren Gesprächspartner oder Gegenüber eingehen, wir bauen eine empathische Brücke, diese sogenannten "Spiegelneuronen" oder das "Haltungsecho", wir gehen mit Sprache, Gestik und Minik auf unsere Gegenüber ein. Während der verbalen Kommunkikation wird durch die ganze Bandbreite eine nonverbale Rückmeldung gegeben, was für das "Gespräch" wichtig ist. Und gerade wenn wir es schaffen auf unser Gegenüber einzugehen, ein Angebot zur Kommunkikation zu machen, hören nicht-stotternde auch gerne zu. Wir machen untereinander einen Deal.
Das wird ein Teil dessen sein, was grow_slowly als authentisch bezeichnet.
In der SHG Düsseldorf hatte mir Sophia mal ein Buch in die Hand gedrückt, über Kommunikation, mit der Aufgabe herauszufinden was sich davon für uns gebrauchen lässt.
Meine Erkenntnis war: es lässt sich alles gebrauchen. In punkto Kommunikation gilt für Stotterer und nicht-stotternde das gleiche! Einen Unterschied zwischen stotternden und nicht-stotternden gibt es gar nicht. Auch nicht-stotternde haben Sprechängste, Ladehemmungen, Angst-Publikum und Lampenfieber. Fernseh-Profis, die einmal die Woche in einer Sendung zu sehen sind, machen sich vor Sendebeginn ins Hemd. Tja, da starten wir nächstens mal den thread "Kommunikation".

Ah, dann noch mit dem Dopamin von Eberhard aus #9:
wenn ich zu 10% sicher, also zu 90% unsicher bin, dann stottere ich! Streß-Situation, ein altes Gespenst sagt guckuck zu mir;
wenn ich zu 90% sicher bin, dann stotterer ich auch! zu Hause, mit Freunden, wo gar nichts schiefgehen kann und keine Gefahr ist. Wie der Elfmeter vor dem leeren Tor wenn der Torwart zur Pinkelpause in der Kabine ist.
am wenigstens stottere ich so in der Mitte bei gefühlten 20 bis 80 prozent , etwas Spannung muss sein. Oder in längeren Gesprächen wo es holperig los geht und dann im Verlauf symptomfrei wird.
Und dann gibt es die Symptomfreien Phasen, alles geht wie am Schnürchen, ich frage mich warum und warum sonst nicht und schon ist das sonstnicht plötzlich und unerwartet wieder da. Ruhe und Konzentration helfen mir wieder heraus aber sie sind noch nicht so automatisiert, ohne einen Stubser laufen sie von selber nicht an. Wie den Router resetten.

Hallo Ruhrfreund,

Ich grüße auch Dich, Dein Beitrag motiviert mich zu einer kurzen Frage, die ich auf Petras Beiträge auch schon stellen wollte: wie ist das mit dem Stottern und dem Nervös sein - steht das wirklich so in Verbindung oder auch nicht? Nach meiner (externen) Erfahrung ist das nicht zwingend. Jedenfalls ist für mich nicht erklärlich, warum mein Kommilitone in der Lerngruppe manchmal nervös gewesen sein soll und manchmal nicht - war doch eh immer ich. Und an Petras Geschichte hatte mich auch gewundert, warum der Kfz-Mechaniker bei der Arbeit und seiner Kommunikation mit ihr nervös gewesen sein soll - war doch wahrscheinlich eine alltägliche Sache für ihn.
Sei's drum, ich finde Deinen Ansatz, auf die Kommunikation insgesamt zu schauen, total gut, Ruhrfreund. Und das Beispiel mit Deinem Bekannten spricht mir aus der Seele: wenn es wirklich an Nervosität liegen sollte, was ich eigentlich nicht glaube, dann würde ich mich fragen, warum meine stotternden Gesprächspartner in den jeweiligen Gesprächen mit mir nervös gewesen sein oder Angst gehabt haben sollten. Dafür hätte es absolut keinen Grund gegeben. Weder vor noch nach dem Stottern.

Ich komme nicht umhin, aber irgendwie sehe ich in der Hinsicht wirklich Parallelen zu Homosexualität und den (Ich sag es jetzt mal so) etwas verklemmten Umgang von verschiedenen Freunden von mir damit. In meinem mittlerweile nicht mehr ganz so jungen Leben haben sich verschiedene Freunde mir (und anderen) gegenüber geoutet, das hat sie emotional zum Teil ziemlich viel Kraft gekostet. Und ich frage mich dann immer ganz irritiert, warum sie Angst hatten, mir das zu sagen, weil doch wohl völlig klar ist, dass ich damit kein Problem habe?!

So viel kurz von mir, Euch einen schönen Abend!

Stotternde sind nicht nervös, chronisch stotternde sind verunsichert durch jahre- oder jahrzehntelange Stottererfahrungen und fürchten dann immer oder oft, gleich wieder stottern zu müssen. Als Stotternder kann man auf Menschen treffen, gegenüber denen sich die Verunsicherung auflöst und dann geht es plötzlich. Der Ausdruck nervös ist eine oberflächliche Betrachtung.

Homosexualität hat biologische Ursachen. Kinder kommen mit einem neutralen Gehirn zur Welt, erst in den Tagen danach wird es durch hormonelle Einflüsse ein männliches oder weibliches Gehirn. Dabei kann etwas falsch laufen und ein Junge bekommt ein weibliches, oder ein Mädchen bekommt ein männliches Gehirn (Robert Sapolski in Die Biologie des menschlichen Verhaltens). Wäre das allgemein bekannt, müsste man nicht soviel Theater darum machen und Homosexuelle und andere könnten gelassener damit umgehen.

Hallo grow_slowly
auf deine Frage

Zitat von grow_slowly im Beitrag #25

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Hallo Ruhrfreund,

... Dein Beitrag motiviert mich zu einer kurzen Frage, die ich auf Petras Beiträge auch schon stellen wollte...
... was ich eigentlich nicht glaube, dann würde ich mich fragen, warum meine stotternden Gesprächspartner in den jeweiligen Gesprächen mit mir nervös gewesen sein oder Angst gehabt haben sollten. Dafür hätte es absolut keinen Grund gegeben. Weder vor noch nach dem Stottern...

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In der Klinik in Köln hatte ich der Nacht von Samstag auf Sonntag auch einr Begegnung. Die Nachtwache kam rein mit nem Zettel und stellte meiner Zimmerkollegin fragen wie es geht und vieles mehr. Ich hatte das Gefühl, das Fragen auf dem Zettel standen. Als Zimmerkollegin dann Fragen zurückstellte an ihn, kamen die Stottersymptome auf bei ihm, wie Wortwiederholungen und kleine Blocks. Als er dann zu mir kam, war ich am überlegen ob ich drauf anspreche, ließ es aber bleiben. Und hab ihn seine Fragen stellen ohne zurückzufragen um ihm Stotterereignisse zu ersparen und ihn nicht zu outen vor meiner Zimmergenossin. Und er wurde wieder ruhiger ohne Blocks und ohne Wortwiederholungen. Ich denke es waren Fragen, die er immer stellen musste und zur Routine wurden und wenn auf gestellte Rückfragen antworten musste, wird er vielleicht nervös und die Stotterereignisse kommen durch. Im nachhinein sprach kurz mit Zimmergenossin, auch sie hatte die Nervosität und Symptome bemerkt, da wir uns in Zwischenzeit kannten und sie das gleiche auch bei mir bemerkte, und mich ansorach wieso es mal flüssig ist das Sprechen und mal mit mehr Stotterereignisse einher geht. Und ich hab es ihr versucht zu erklären, was alles solche Unflüssigkeiten hervorrufen kann. Ich habe also sehr offen über das Stottern mit ihr geredet. Sodaß sie es auch bei der Nachtwache bemerkte.