Hallo,
ich stelle hier in leicht überarbeiteter Form einen Artikel ein, der schon im KIESELSTEIN Nr. 2/2019 erschienen ist:

Das Toobaloo

Als ich vor einiger Zeit im Internet nach einem gebrauchten, billigen DAF-Gerät suchte – also nach einer elektronischen Sprechhilfe für Stotternde, mit der man die Hör-Rückmeldung verzögern kann – da machte ich eine interessante Entdeckung. Sie heißt „Toobaloo“ und ist ein einfaches Plastikrohr mit gebogenen und verbreiterten Enden, das wie ein Telefonhörer gehalten wird: ein Ende am Mund, das andere am Ohr. Beim Sprechen wird so ein Teil der Schallwellen direkt zum Ohr gelenkt. Dadurch ist das eigene Sprechen lauter und deutlicher zu hören.



Das Toobaloo wird in den USA von der Organisation LearningLoft produziert, und zwar als Hilfsmittel für Kinder, die Schwierigkeiten beim flüssigen oder deutlichen Sprechen oder beim Lesen haben. Es wird auch für stotternde Kinder empfohlen. Wer im KIESELSTEIN 1/2019 den Artikel von Ludwig Werle gelesen hat (Seite 38), der weiß, wie wichtig es für das flüssige Sprechen ist, dass die Hör-Rückmeldung gut wahrgenommen und gut vom Gehirn verarbeitet wird. Genau dies wird durch das Toobaloo unterstützt.



Das Toobaloo ist zugleich ein Spielzeug: Es wird in verschiedenen Farben angeboten, es ist spülmaschinenfest, und Kinder können es auch zweckentfremden – auf Youtube gibt es ein Video, das zeigt, wie man damit Papierkügelchen „um die Ecke“ schießen kann. Der eigentliche Zweck ist aber, dass die Kinder ihr eigenes Sprechen besser wahrnehmen und sich angewöhnen, darauf zu hören.

In Deutschland bekommt man das Toobaloo derzeit nur über Amazon oder Ebay (es empfiehlt sich, die Preise und Lieferzeiten zu vergleichen). Es wird als Ergänzung auch ein „Headset“ angeboten; ein Plastikbügel, mit dem das Toobaloo am Kopf gehalten wird (das habe ich aber nicht getestet). Ich glaube, dass das Toobaloo vielen stotternden Kindern helfen kann, und dass es auch in der Therapie gut einsetzbar ist. Hier sind zwei Videos (auf englisch), die das Toobaloo vorstellen:

Sprechen mit dem Abflussrohr –
ein Toobaloo für Erwachsene

Natürlich habe ich mir sofort ein Toobaloo bestellt, und als ich es dann ausprobierte, war ich total begeistert: Es macht mir viel mehr Spaß, mit so intensiver Hör-Rückmeldung zu sprechen! Allerdings ist es für Erwachsene etwas klein, sodass man es mit der hohlen Hand quasi verlängern muss. Deshalb suchte ich nach einer Selbstbau-Möglichkeit und wurde im Baumarkt schnell fündig: Zwei Abflussrohr-Winkel (für zusammen weniger als 3 Euro) lassen sich zu einem Toobaloo für Erwachsene zusammenstecken – siehe Foto. Genau handelt es sich um folgende zwei Teile: einmal HT-Bogen DN 40, 87 Grad, und einmal Siphonwinkel DN 40/50 HTSW.



Das Foto zeigt oben das Original-Toobaloo und untern miene Eigenbau-Version. Dieses „Sprachflussrohr“ habe ich in der Berliner Selbsthilfegruppe und beim Naturmethode-Seminar in St. Andreasberg vorgestellt, und die Reaktion war überwiegend positiv. Wozu kann man es benutzen? Natürlich nicht, um beim Bäcker stotterfrei Brötchen zu kaufen. Zunächst einmal kann man damit testen, ob die Verstärkung der Hör-Rückmeldung sich überhaupt positiv auf das eigene Sprechen auswirkt. Wenn das der Fall ist, kann man es zuhause zum Üben benutzen: Man kann damit üben, sich beim Sprechen aufmerksamer zuzuhören – mit dem Ziel, es später auch ohne „Rohr“ zu tun.

Bei mir liegt es jetzt immer auf dem Schreibtisch – gut sichtbar, damit ich es nicht vergesse und oft zur Hand nehme, z.B. beim „lauten Denken“: Ich übe, auch dann noch auf mein Sprache zu hören, wenn meine Hauptaufmerksamkeit auf die Gedanken gerichtet ist. Für diejenigen, die oft Wörter vermeiden, bei denen sie Stottern befürchten, dürfte lautes Lesen mit dem „Rohr“ eine gute Übung sein. Man kann es auch als Sprechhilfe beim Telefonieren benutzen – da sieht es ja keiner.


Wie wirkt das Toobaloo?

Es verstärkt die Wahrnehmung der eigenen Stimme und zieht die Aufmerksamkeit auf das Hören. Dadurch wird vermutlich die Hör-Rückmeldung des Sprache vom Gehirn besser verarbeitet, was wiederum das flüssige Sprechen unterstützt (mehr zum theoretischen Hintergrund im Artikel von Ludwig Werle im KIESELSTEIN 1/2019, S. 38-40). Das Wirkprinzip des Toobaloos ist vermutlich ähnlich wie das von elektronischen Sprechhilfen, die das Stottern reduzieren.

Der Effekt solcher Geräte wurde in zwei Untersuchungen getestet: Anne Foundas und ihre Mitarbeiter in den USA untersuchten die Wirkung des „SpeechEasy“ (Foundas et al., 2012), und Julia Unger, Christian Glück und Jürgen Cholewa an der Universität Heidelberg testeten zwei andere Geräte (Unger et al., 2012). Mit allen drei getesteten Geräten konnte man die Hör-Rückmeldung verzögern und die Frequenz (Tonhöhe) verändern. Beide Untersuchungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen:

Die Verminderung des Stotterns war am stärksten, wenn Verzögerung und Frequenzänderung für die Testperson optimal eingestellt waren. Aber auch schon ohne Verzögerung und ohne Frequenzänderung – also beides auf Null gestellt – reduzierten die Geräte das Stottern im Durchschnitt beträchtlich, verglichen mit dem Sprechen ohne Gerät. Der Effekt dieser Null-Einstellung dürfte der des Toobaloo sehr ähnlich sein: Man hört das eigene Sprechen lauter, deutlicher und direkter.

Die Resultate der Studien lassen vermuten, dass die elektronischen Sprechhilfen dadurch wirken, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Hör-Rückmeldung lenken. Dieser Aufmerksamkeitseffekt lässt sich aber auch mit dem Toobaloo erreichen. Durch künstliche Verzögerung und Tonhöhenänderung wird der Aufmerksamkeitseffekt nur verstärkt, weil das eigene Sprechen sich noch ungewohnter anhört. Das Toobaloo ist also – zumindest für das Üben zuhause – eine sehr preisgünstige Alternative zu teuren elektronischen Geräten.


Was kann man durch Üben erreichen?

Regelmäßiges Üben kann das Gehirn verändern. Vor 15 Jahren verglichen schwedische Forscher (mit Hilfe der Computer-Bildgebung) die Gehirne von Menschen, die seit ihrer Kindheit Klavier gespielt hatten mit den Gehirnen von Nichtmusikern (Bengtsson et al., 2005). Sie sahen, dass die Nervenfasern, die das Hören mit der Steuerung der Handbewegungen verbinden, bei den Pianisten im Durchschnitt besser strukturiert waren. Das war ein erster Hinweis darauf, dass durch regelmäßiges Training nicht etwa nur die „Software“ im Gehirn verändert wird, sondern dass die Struktur sich verbessert – ähnlich, wie ein Muskel durch regelmäßige Belastung kräftiger wird,

Doch man muss nicht jahrelang trainieren, um einen Effekt zu erzielen. Im Jahr 2009 wurden gleich zwei Studien veröffentlicht, in denen gezeigt wurde, dass schon ein Training über einige Wochen die Struktur der Nervenfasern verbessern kann: In der einen Studie trainierten die Versuchspersonen das Jonglieren mit drei Bällen, sodass sie nach 6 Wochen zumindest zwei Durchgänge der Klassischen Kaskade ausführen konnten (Scholz et al., 2009). In der anderen Studie übten leseschwache Kinder 100 Stunden lang Lesen (Keller & Just, 2009). In beiden Experimenten wurden vor und nach der Trainingsperiode die Gehirne der Versuchspersonen gescannt sowie zum Vergleich die Gehirne einer Kontrollgruppe, die nicht trainiert hatte.

Es zeigte sich, dass das Training die Struktur der dabei aktivierten Nervenfasern verbessert hatte: beim Jonglieren zwischen Sehen und Armbewegung, beim Lesen zwischen Sehen und Sprechen (und die Lesefähigkeit war verbessert). Bei Stotternden wurden strukturelle Mängel in den Nervenfasern gefunden, die das Hören mit dem Sprechen verbinden – zuerst entdeckt von Martin Sommer und seinem Team (Sommer et al., 2002). Man kann also vermuten, dass regelmäßige Sprechübungen bei gleichzeitigem aufmerksamem Hinhören diese Strukturdefizite im Gehirn verringern kann.

Dabei sollte man nicht nur auf die eigene Stimme, sondern auf die Wörter und Sätze,hören – also genauso, wie man jemand anderem zuhört, wenn man verstehen will, was er oder sie sagt. Ziel des Übens ist es, eine bessere (automatische) Verteilung der Aufmerksamkeit während des Sprechens zu erreichen – nämlich so, dass immer genügend Aufmerksamkeit (und somit Verarbeitungskapazität) für die Hör-Rückmeldung zur Verfügung steht. Dieses „Gleichgewicht der Aufmerksamkeit“ sollte auch in anspruchsvollen Sprechsituationen und bei Stress nicht ins Wanken geraten. Ob sich das erreichen läßt, weiß ich noch nicht – ich bin dabei, es auszuprobieren.


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Kleiner Nachtrag zum Thema: Anfangs glaubte ich, das Abflussrohr-Toobaloo sei meine Erfindung. Dann fand ich heraus, dass es das schon lange gibt, und zwar in Frankreich. Dort bauen Lehrer schon lange Toobaloos für ihre Schüler selbst – siehe die Fotos in der Galerie.

Dass das Toobaloo in Frankreich so populär ist, liegt vermutlich an der Arbeit von Alfred Tomatis, dessen Werk (weil es auf französisch ist) in Deutschland und im englischsprachigen Raum weitgehend unbeachtet geblieben ist. Tomatis war HNO-Arzt und hat sich intensiv mit der Rolle des Hörens und der Verarbeitung der Hörwahrnehmungen im Gehirn beschäftigt – siehe das folgende Video.

Tomatis hat auch angenommen, dass Stottern auf ein Defizit bei der auditiven Verarbeitung zurückzuführen ist. Tomatis’ Theorie war schon zu seinen Lebzeiten umstritten, und manches daran ist vermutlich falsch, aber seine Grundidee – dass nämlich die Hörverarbeitung bei Lese-Rechtschreibschwäche, Stottern, Poltern, und Autismus eine Rolle spielt, scheint sich zu bestätigen.

Über die Wirkung des Toobaloos auf das Stottern es leider noch keine wissenschaftliche Untersuchung (wie ich schon im ersten Beitrag geschrieben habe, dürfte der Effekt ähnlich sein wie mit dem SpeechEasy ohne DAF und FAF). Es gibt aber eine Untersuchung über die Wirkung eines anderen einfachen Sprech-Spielzeugs auf das Stottern. Es handelt sich dabei um ein Spielzeug-Mikrophon, bei dem auf mechanischem Wege, also ohne elektrischen Strom ein Echo erzeugt wird, wenn man hineinspricht. Im folgenden Video wird zuerst das Toobaloo vorgestellt und danach das Spielzeug-Echo-Mikrophon (echoic mic):




Die Wirkung dieses Spielzeugs auf das Stottern wurde von einem Team an der East Carolina University untersucht, zu dem Andrew Stuart und Joseph Kalinowski gehörten, die späteren Erfinder des SpeechEasy. Die Studie erschien 1997 [1]. Die Forscher testeten das Gerät mit sieben stotternden Erwachsenen und stellten im Durchschnitt eine Verminderung der Stotter-Häufigkeit um 30% fest.


[1] Stuart, A., Miller, R. K., Kalinowski, J., & Rastatter, M. P. (1997). Effect of speaking into a passive resonator on stuttering frequency. Perceptual and Motor Skills, 84(3Pt2), 1343–1346.