Hallo @Heinz-Arno ,
du hast in deiner Antwort an eine neue Userin folgendes geschrieben:
(ich habe es lieber hier beantwortet, weil ich mögliche Antworten anderer Teilnehmer/innen in dem Thread von Irms nicht behindern wollte, zumal diese Antwort ja an dich geht)

Zitat von Heinz-Arno im Beitrag Suche nach Gleichgesinnten

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Meine Geschäftspartner waren entweder alle so klug oder so feinfühlich, dass ich nie
auf mein Stottern angesprochen wurde.
(...) Zwei oder drei meiner damaligen Kunden habe ich einfach nicht mehr bedient, nachdem sie mich auf mein Stottern angesprochen hatten.

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Die oben stehenden Aussagen von dir haben mich nachdenklich gemacht.
Für mich war es ganz klar so: wer mich auf mein Stottern anspricht, ist mein Feind!

Dieser Lehrsatz galt allerdings nur bis zu meinem 16. Lebensjahr, also bis ich mein Stottern als nur EINE Eigenschaft von mir akzeptiert habe.
Ab da hätte ich jeden, der mich darauf anspricht, am liebsten umarmt.
Es machte nur niemand.

Heute, wo ich in der Selbsthilfe aktiv bin, empfinde ich es als unheimlich befreiend, über das Stottern zu sprechen. Ich spreche stotternde Menschen eigentlich immer darauf an, wenn sie es nicht selber tun. Ich suche mir einen Weg, auch wenn es manchmal längerer vertrauensbildender Maßnahmen bedarf.
Selten bin ich damit auf Granit gestoßen. Dann ist es halt so.
Aber die Befreiung, die es bei mir auslöst, darüber zu reden, dass ich stottere, welche Probleme ich damit hatte und wie es mich emotional belastet hat, ist unbeschreiblich.

Ich denke, es kommt vor allem auf die Art an, wie man darauf angesprochen wird.
Als Kind habe ich es stets als Vorwurf empfunden und nie als Feststellung. Als Vorwurf: Du stotterst, hör damit auf, das nervt mich!
Aber vielleicht war es auch damals schon eine reine Feststellung, und mein Gesprächspartner hat nur die Bestätigung gesucht. Ich habe das nie erfahren können, weil ich diesen Leuten den Rücken gekehrt habe.

Meine Schwester erzählt stets, dass ihr Vorgesetzter im Versicherungswesen stottert.
Ich habe sie mehrfach gefragt, ob sie mit ihm mal darüber geredet hat. Sie hat es verneint.

Ich glaube, wenn das Stottern unkommentiert im Raum steht, ist es oft der viel beschworene "große rosa Elefant", der im Raum steht, und alle tun so, als wäre er nicht da.

Allein der Kommentar: "nur dass ihr Bescheid wisst; wenn ich ab und zu mal im Sprechen zögere, liegt es nicht daran, dass ich nervös oder unkonzentriert bin - ich stottere nun mal!" ist für mich Gold Wert.

Neulich hatten wir einen Logopäden zu Besuch, der uns von einem Versuch berichtet hat, der mit nicht-stotternden Zuhörern gemacht wurde.
Wurden sie unvorbereitet mit einem stotternden Redner konfrontiert, war die Unruhe und Verwirrung groß, viele wussten es nicht einzuordnen und die Atmosphäre war dadurch gestört - was sich selbstverständlich auch auf den stotternden Redner auswirkt, der dadurch unter Druck gerät.

Trat der Redner allerdings ans Podium und kündigte sein Stottern selbstbewusst und in der oben von mir zitierten Weise an, waren die Zuhörer aufmerksam und konnten sich völlig auf das Inhaltliche konzentrieren. Niemand störte sich an dem Stottern, im Gegenteil, viele zollten der Person Respekt für ihren Mut.

Was man eben nicht machen darf, ist, das Stottern als Makel und entschuldigend zu präsentieren, womöglich noch mit der entsprechenden Mimik und Gestik im Sinne von: "Ich bitte jetzt schon mal um Entschuldigung, wenn ich mal ins Stottern komme."
Da gibt es nichts zu entschuldigen!
Es entschuldigt sich ja auch keiner, weil er seine Lesebrille rausholen muss.

Ich höre häufig: "Ich brauche das nicht zu sagen, das merkt eh jeder!"
Genau diese Einstellung wird durch den obigen Versuch widerlegt.

Jeder, der meint, "das merkt eh jeder", setzt sich für eine Zeit - die Zeit des Kennenlernens - immer wieder den Momenten der Irritation aus. Auch entstehen viele Missverständnisse, denn unvorbereitete Zuhörer erkennen ausschließlich Wi-Wi-Wiederholungen als Stottern an, wenn man allerdings eine ___________ stumme Pause macht oder äh äh äh äh äh einschiebt, wird dies regelmäßig eher der mangelnden Konzentration zugeschrieben, nicht aber einem möglichen Stottern.

Ich finde es viel unproblematischer, als Stotternder erkannt zu werden, als als geistig Verwirrter, Unkonzentrierter, Vergesslicher etc.

Eine junge Dame in unserer Gruppe stottert z.B. vorwiegend, indem sie längere stumme Pausen macht. Als sie neulich mit uns bei der Logopädenschule war, um die Stotterer-Selbsthilfe vorzustellen, musste sie sich einen halben Tag frei nehmen und sprach ihren Arbeitgeber darauf an, was sie vorhat.

Dieser soll ihr gesagt haben: "Wieso, du stotterst doch gar nicht, du weißt nur manchmal das nächste Wort nicht" (oder so ähnlich).
Sie hat sich jedenfalls tierisch darüber aufgeregt, dass sie so rüberkommt, als wisse sie das Wort nicht. Weil das ja eben ihr Problem ist: sie weiß das Wort ganz genau, es kommt nur nicht raus! Jedenfalls nicht in dem Moment, in dem sie es sagen will.

Darum halte ich es für super wichtig, dass die Fronten geklärt sind. Und Leute, die aus Höflichkeit den Stotternden nicht darauf ansprechen, dass er stottert, die jedoch stets diesen großen rosa Elefanten im Raum spüren, fühlen sich erleichtert und wissen, dass sie nachfragen können, z.B. wie sie sich am besten verhalten sollen.

Diese Sichtweise stammt nicht von mir allein. Ich habe sie zwar für mich selbst entdeckt, habe dann jedoch durch meine Studien zum Thema Stottern (Anfang 2000) und meine Aktivität in der Selbsthilfe (seit 2013) entdeckt, dass dies auch die Empfehlung der Experten und Selbsthilfe-Aktivisten ist.

Jemandem den Rücken zu kehren, wenn er einen auf das Stottern anspricht, ist für mich keine Option mehr. Im Gegenteil, ich sehe es als Interesse an und nutze es, um über das Thema Stottern aufzuklären und Vorurteile wie "Stotternde sind nervös" o.ä. auszuräumen.

Das Ganze hat aber auch viel mit Desensibilisierung zu tun. Ein Kriterium für eine gute Desensibilisierung ist, wenn man auf das Wort "Stottern" nicht mehr negative Emotionen empfindet. Das habe ich in den letzten Jahren dank der Selbsthilfe endlich geschafft!

LG
Petra