Ich war im Vorfeld über dieses Vorhaben informiert, da die Redakteurin sich an verschiedene Selbsthilfegruppen gewandt hat, um Probanden zu finden.
Für die Probanden war es insofern attraktiv, als dass der Kurs - entgegen sonstiger McGuire-Angebote - auf Deutsch stattfinden und für sie eine kostenlose Teilnahme am lebenslangen Support durch das McGuire-Programm bedeuten sollte.

Auf Englisch gibt es seit Jahren eine entsprechende Doku, die ihr hier verfolgen könnt.

In unserer SHG-Whatsapp-Gruppe kursierte diese Woche folgender Link: Das McGuire-Programm: Nie mehr Stottern nach vier-Tage-Kurs?

Ich finde es wieder einmal furchtbar sensationsheischend, mit solchen Worten Betroffene wie Nicht-Betroffene anzulocken.
Und nach meiner Erfahrung ist dies auch nicht die Wortwahl im McGuire-Programm, sondern eindeutig die der Fernsehmacher. (RTL2 - allein das spricht Bände).

Niemand, den ich aus dem McGuire-Programm kenne, verspricht "nie mehr Stottern nach vier-Tage-Kurs". Der erste Kurs, bestehend aus vier Tagen, ist lediglich der Einstieg in das Programm.

Tägliche Telefonate bzw. Skype-Konferenzen mit dem persönlichen Coach folgen. Die Leute, die ich aus dem Programm kenne, waren nach etwa 2 Jahren in der Lage, ihre Techniken überall und ständig anzuwenden, ohne dass man es direkt als "Technik" erkennen konnte. Dazu gehört eine unglaubliche Energie.

Ich weiß aus internationalen Gruppen wie der Stuttering Community bei Facebook, dass die Teilnehmer das Programm als "life-changing" bezeichnen. Ich habe noch nie wirklich Negatives gelesen, was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die Teilnehmer jederzeit ihre Coaches erreichen und für sehr wenig Geld die Auffrischungskurse besuchen können.

Dadurch, dass der Austausch mit dem Coach fester Bestandteil des Systems ist, kommen gar nicht erst Zweifel auf wie vielleicht bei anderen Therapien, wo es zwar heißt: "Wenn du Probleme hast, kannst du mich jederzeit anrufen", der Teilnehmer sich aber denkt, "nun ist die Therapie ja eigentlich abgeschlossen, da möchte ich meinen Therapeuten am liebsten nicht mehr stören" (nur eine Annahme von mir).

Als @Emmet uns seinerzeit in der SHG besuchte, um das Programm vorzustellen, sagte er, dass es natürlich auch Leute gibt, die nach einigen Kursen meinen, sie haben genug gelernt und sich aus dem Programm zurückziehen. Um sich dann nach ein paar Jahren wieder zu melden und zu sagen, sie möchten wieder an einem Kurs teilnehmen. Auch das ist möglich, weil sie ja einmal die Einstiegsgebühr für den lebenslangen Support bezahlt haben.

Allein diese Aussagen zeigen, dass es nicht die Wortwahl der McGuire-Leute sein kann, die von "nie mehr stottern nach vier Tagen" spricht. Umso schlimmer, dass RTL2 damit um sich schmeißt und wieder völlig falsche Erwartungen schürt.

Zurück aus meinem Sommerurlaub, konnte ich nun endlich die 3 bereits gelaufenen Folgen in der Mediathek ansehen und möchte mal zu meinen Erfahrungen mit McGuire Stellung nehmen. Bevor ich diese Zeilen schreibe, habe ich mit den Betroffenen @Emmet und @Beate K. Kontakt aufgenommen und von ihnen die Genehmigung eingeholt, über unsere Begegnungen zu berichten. Sollten etwaige Unstimmigkeiten (falsche Erinnerungen) auftreten, werden sie mich korrigieren.

Ich habe zum ersten Mal im Mai 2015 vom McGuire-Programm gehört, als @Emmet sich an die Kölner SHG wandte, die gerade einen Stand auf einer Veranstaltung unterhielt, wo ich mit einigen anderen Leuten Infomaterial etc. verteilte.
Emmet sprach damals nur englisch, sodass auch wir gezwungen waren, entsprechend zu antworten. Er gab uns Broschüren vom McGuire-Programm und berichtete davon, dass auch er früher mal stark gestottert hätte.

Dies war der erste Punkt, der mir auffiel. Denn er sprach so unauffällig, dass ich es von selbst nicht gemerkt hätte, dass er Stotterer ist. Im Gegensatz zu vielen anderen therapierten oder verdeckten Stotternden, die ich eigentlich immer nach kurzer Zeit "enttarne" bzw. meistens sogar erkenne, welche Therapie sie gemacht haben.

Unmittelbar nach unserer Begegnung recherchierte ich über das BVSS-Forum zu McGuire und bekam von einem anderen User den Link zu dem BBC-Programm geschickt, das ich oben bereits verlinkt hatte. Ich hielt ab jetzt Augen und Ohren offen, um mehr darüber zu erfahren!

Emmet hatte darum gebeten, dass er unsere SHG besuchen dürfte. So geschehen im Herbst 2015, als er mit zweien seiner ersten Student*innen in Deutschland bei voll besetzem Raum in die Kölner SHG kam.

Bei diesem Treffen lernte ich @Beate K. kennen. Sie hatte an dem ersten in Deutschland abgehaltenen Kurs teilgenommen und steckte noch ganz in den Anfängen.
Emmet präsentierte uns über zwei Stunden das Programm und ließ auch die Student*innen zu Wort kommen. Bei ihnen merkte man die gezielt eingesetzten Techniken, die er immer wieder korrigierte. Nicht so bei Emmet selber, bei dem ich innerhalb von 2 Stunden nur EINE kleine Unflüssigkeit und den Einsatz einer Technik identifiziert habe.

Wie Roland bereits aufgeführt hat, besteht die Technik in den vier Grundbausteinen
- Rippen-Atmung (costal breath)
- Hit and hold (den Anfangslaut zu verlängern)
- Block release (Ausatmen bei auftretendem Stottern)
- Klingende Stimme

Jetzt kommt der Punkt, an dem die meisten von uns sich reiben: Die Atmung erinnert bekanntermaßen sehr an eine - von vielen als ineffektiv erlebte - Therapie, die ein mittlerweile verstorbener Opernsänger in Amsterdam erfunden hat.

Ich glaube aber - und da lasse ich mich gerne korrigieren - dass McGuire mit diesem Atemkonzept ganz anders umgeht als die Amsterdamer.

Amsterdam sagt (salopp ausgedrückt): Du atmest falsch, dadurch flattert dein Zwerchfell - ich bringe dir bei, richtig zu atmen, und dein Stottern ist weg!
Praktisch: Heilung in 2 Wochen!

McGuire setzt die Atmung gezielt ein, um
- ins Sprechen eintreten zu können
- Blocks durch Ausatmen abzubrechen bzw. gar nicht erst auftreten zu lassen
McGuire sagt niemals, dass dadurch das Stottern weggehen wird, sondern weist die Teilnehmer darauf hin, dass sie mit diesen vier Werkzeugen ihr Leben lang das Stottern managen können.

Ich tat mich lange schwer, gezieltes Atmen als Teil effektiver Therapien zu akzeptieren. Aber ich habe gesehen, es funktioniert.
Und ich muss mir auch nichts vormachen: auch ohne eine entsprechende Therapie gemacht zu haben, arbeite ich selber ganz viel mit Atmung, um mit herannahenden oder eingetretenen Blocks umzugehen.
Wieso soll man also nicht, nur weil ein gewisser Opernsänger die Idee hatte, nicht etwas Neues draus machen?
Solange man den Leuten nicht verspricht, dass dadurch ihr Stottern verschwindet? Und wenn es doch wieder auftritt, dass sie es selber schuld sind, weil sie was falsch gemacht haben?

Ich verfolge seither über diverse soziale Medien alles, was über McGuire geschrieben wird.
Und sicher wird es auch dort Leute geben, denen das Programm auf Dauer nicht zusagt, die wieder aussteigen. Allerdings habe ich noch nie etwas Negatives über die Inhalte des Programms gelesen, (allenfalls Beschwerden, die Kosten seien zu hoch - auf diese möchte ich hier nicht eingehen, weil ich dazu nicht qualifiziert bin). Der generelle Tenor lautet: LIFE CHANGING!

Ich habe anfangs nicht verstanden, warum das Programm in Englisch abgehalten wird, aber auch das macht Sinn, wenn man bedenkt, dass zu einem regulären Kurs Menschen aus verschiedensten Ländern anreisen und sich die Kurse aus Teilnehmern unterschiedlichster Stufen zusammensetzen. Das heißt, wenn ich gerade in Deutschland keinen Kurs besuchen kann, weil ich den letzten verpasst habe und nicht auf den nächsten warten möchte, oder wenn ich gerade ein Auslandspraktikum mache und gar nicht in Deutschland bin, dann mache ich eben dort einen Kurs oder fahre nach Holland, England oder Dänemark...

Bereits 2016 lernte ich auch einen der türkischen McGuire-Coaches Cem kennen. Er meldete sich in der türkischen Facebook-Gruppe und wollte in der Türkei das Programm starten. Dies war leider zunächst nicht möglich, da durch den gescheiterten Militärputsch strengere Regeln galten und die McGuire-Leute keine Genehmigung für öffentliche Sprechübungen auf der Straße erhielten. (Der erste Kurs fand dann am Wochenende vom 1. Mai 2019 statt).

Wir luden Cem ein, uns in einem öffentlich abgehaltenen Hangout über McGuire zu informieren. Das Hangout findet ihr hier

Nach Abschluss der vier Folgen möchte ich nunmehr meine Ansichten und Kritik zum Programm auf RTL2 zur Sprache bringen und bin gespannt, wie ihr dazu steht.

1. Titel:

Nach wie vor halte ich den Titel "Raus mit der Sprache" für völlig daneben (eben typisch RTL2). Raus aus der Sprachlosigkeit, was zwischendurch häufiger genannt wurde, finde ich dagegen schon passender. Nie wieder stottern - darüber reden wir gar nicht erst, denn das ist von den McGuire-Leuten in keinem einzigen Satz erwähnt worden.
Aber es bezeichnet mal wieder die Sensationsgeilheit unseriöser Journalisten. Wie oft liest man "vom Stotterer zum xxx", obwohl die Person immer noch - wenn auch vielleicht weniger - stottert oder das Stottern ggf. mit dem, was aus ihm/ihr geworden ist, gar nichts zu tun hat.
Wäre schön, wenn der WDR die Produktion gemacht hätte - wie in England der BBC. Obwohl die natürlich mit "stop my stutter" auch nicht gerade einen realistischen Titel gewählt haben.

Off-Ton:

Ich finde schon, dass die OFF-Stimme die Situation der Stotternden und ihre Ängste sehr gut rübergebracht hat. Durch die Rückblenden und Ausschnitte aus dem Privatleben der Leute bekommt jemand, der nichts mit dem Thema zu tun hat, einen guten Einblick in die Ängste und Sorgen stotternder Menschen.
Was ich mich frage, ist, wieviel davon inszeniert war (nach Drehbuch RTL2) und wieviel spontan von den Leuten war.

Coach: Maika

Ich fand, Maika hat die Philosophie von McGuire nicht nur überzeugend rübergebracht, sie hat auch durch das konsequente Anwenden der vermittelten Techniken offen gezeigt, dass McGuire eben keine "Heilung" bedeutet, sondern aus einem Stotternden allenfalls einen eloquenten Redner macht.
Damit war sie eine hervorragende Besetzung ihrer Rolle. Sympathisch, kompetent, offen.
Auch bei den anderen Coaches konnte man gut erkennen, dass sie einfach die Techniken beherrschten, aber immer noch stottern.

Dustin und Mutter

Ich muss zugeben, dass mir das Herz blutet, wenn ich an den vierzehnjährigen Dustin denke. Ich glaube auch nicht, dass RTL2 die Mutter zum "Enfant terrible" gemacht hat, sondern dass sie so ist. SIE ist das Hindernis, sonst nichts. Ihr Gesicht, auch als die anderen ihren Schlussvortrag gehalten haben, spricht Bände. "Ich akzeptiere es nicht, einen stotternden Sohn zu haben, und du (Dustin) machst jetzt alles, damit ich einen nicht stotternden Sohn bekomme". Das habe ich aus ihren Zügen gelesen, und damit gehört zuerst einmal die Frau in Therapie und anschließend, wenn Dustin etwas älter ist, kann er noch mal einen Neustart wagen - wenn ER es möchte.
Ich weiß nicht, ob es gut war, so etwas überhaupt in Szene zu setzen. Vielleicht für die Klassenkameraden und Freunde von Dustin, falls sie sich das angesehen haben - vielleicht haben sie endlich begriffen, dass er für all das nichts kann.

Besuch nach X Monaten:

Der Besuch nach mehreren (3-4) Monaten im Alltag der Menschen hat gezeigt, dass viele (mehr oder weniger) in ihr altes Muster zurückgefallen sind, aber die Erfahrung, die bei der in-vivo-Arbeit gemacht wurde, kann man keinem mehr nehmen.
Vor allem bei Hümeyra konnten wir gut sehen, dass jetzt der Support von McGuire greift. Regelmäßig, bis zu täglich der Kontakt zum Coach, und wenn der nächste Kurs stattfindet, dann nimmt man den mit. Und den übernächsten... und den überübernächsten... Und den in einem Jahr... den nächsten in Holland...

Ich glaube, dass das Programm die generellen Abläufe ganz gut wiedergegeben hat. Es endet nicht mit den vier Tagen. Sondern es ist erst der Anfang.